Thomas (BOTY)
HHWS: Wie bist du 1990 auf die Idee zum Battle Of The Year gekommen?
T. HERGENRÖTHER: Ich war seit 1983 Breakdancer und Graffitiwriter. Nach der ersten großen Hip Hop Welle in den Jahren 1983 bis 1985 verschwand alles wieder von der Bildfläche. In den folgenden Jahren bis 1989 gab es bei uns in Hannover eine kleine Gruppe von aktiven Breakdancern, Graffitiwritern, DJs und Rappern. Wir trainierten unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Ende der 80er Jahre wollten wir der Öffentlichkeit unbedingt zeigen, dass es unsere Jugendkultur noch gibt. Außerdem wollten wir schon damals ein kleines Forum für die deutsche Breakdanceszene bieten und diese Vernetzen. Aus diesen Gedanken heraus ist dann im Jahre 1990 in Hannover im Freizeitheim Döhren die erste Battle of the Year Veranstaltung entstanden. Im ersten Jahr hieß die Veranstaltung noch International Breakdance Cup, den Namen Battle of the Year bekam sie erst im Jahre 1991.
HHWS: In den vielen Jahren des BOTY’s gab es bestimmt viele prägende Momente. Erzähl doch mal bitte von einem dieser Momente.
T. HERGENRÖTHER: Eigentlich gibt es zu jedem BOTY prägende Momente und Ereignisse, die mir in ganz besonderer Erinnerung bleiben. Immer wieder gerne erzähle ich die Geschichte aus dem Jahr 1996. Das BOTY fand in diesem Jahr in Celle, ca. 40 km von Hannover entfernt, in einer alten Britischen Kaserne statt. Die Kaserne war für Veranstaltungszwecke zu einem Jugend- und Kulturzentrum umgebaut worden, Soldaten gab es hier keine mehr. Am Abend der Veranstaltung lieferte uns dann plötzlich die Britische Militärpolizei einen völlig durchnässten dänischen Jugendlichen ab. Dieser wollte sich den Eintrittspreis zum BOTY sparen und war an einer Kaserne durch einen Wassergraben geschwommen und wurde dann von Britischen Soldaten mit vorgehaltenem Gewehr gestellt. Er war leider in einer falschen Kaserne gelandet, in der noch das Britische Militär wohnte. Weil wir die Aktion so krass fanden, haben wir dem Dänen erstmal ein trockenes BOTY T-Shirt geschenkt und ihn natürlich als unseren Gast reingelassen.
HHWS: Welches Jahr hatte deiner Meinung nach am meisten Einfluß auf die Szene?
T. HERGENRÖTHER: Ich denke definitiv 1995. Das BOTY, damals noch in Hannover im Pavillon, platzte völlig unerwartet aus allen Nähten. Es waren Tanzgruppen aus Polen, Ungarn, Schweiz, Frankreich, England, Kroatien, Dänemark und Deutschland dabei. Für das BOTY war das sicher ein Wendepunkt, von da an wurde die Veranstaltung immer internationaler und größer und hat somit sicherlich zur Vergrößerung und Vernetzung der weltweiten B-Boy Szene beigetragen. In diesem Jahr gab es erstmalig auch ein offizielles Veranstaltungsvideo, welches unter der Hand in der ganzen Welt verkauft und verteilt wurde, außerdem war unser BOTY Moderator Trix aus England 1995 das erste mal dabei. Out of Control aus Dänemark erschienen das erste mal beim BOTY und führten hier in Deutschland den Tanzstil des Locking für die meisten Kids ein. Auch das Finalbattle aus dem Jahre 1995 zwischen The Family (Frankreich/ Italien) und Enemy Squad (Ungarn) ist für mich nach wie vor das beste Battle der BOTY Geschichte.
HHWS: Wie ist das Verhältnis der teilnehmenden Gruppen untereinander und gegenüber dem BOTY-Team?
T. HERGENRÖTHER: Unter den Gruppen herrschte und herrscht natürlich immer ein gewisser Konkurrenzkampf wobei man sagen kann, dass das Verhältnis der Gruppen untereinander früher sicher herzlicher und freundschaftlicher war, denn es gab einfach nicht soviel Gruppen wie heute und man fühlte sich meiner Meinung nach viel mehr als Gemeinschaft. Heute hat das BOTY für viele Gruppen einen sehr hohen Stellenwert, meiner Meinung nach einen viel zu hohen. Der Druck unbedingt gewinnen zu wollen wird immer größer und so kommt es natürlich immer häufiger zu angespannten Situationen unter den Gruppen. Vielmehr entlädt sich dieser Druck heutzutage jedoch gegenüber der Jury und teilweise leider auch dem BOTY Team gegenüber. In den letzten Jahren gab es immer wieder große Diskussionen um die Juryentscheidungen, letztmalig beim letztjährigen BOTY national in Hannover. Ich bin dann jemand der immer die Diskussion mit den Tänzern sucht und versucht mit ihnen in Ruhe zu reden, leider gelingt das nicht immer. Generell denke ich, sehen die meisten B-Boys heute im BOTY (hoffentlich) eine positive Veranstaltung und erkennen welchen Beitrag und auch welche Möglichkeiten die Veranstaltung für die Szene bietet.
HHWS: Wie groß ist der organisatorische Aufwand und wie groß ist denn ca. das BOTY-Team?
T. HERGENRÖTHER: Das BOTY wird eigentlich das ganze Jahr vorbereitet. Direkt nach der BOTY im Oktober müssen Pressemappen erstellt werden, die dann an unsere Partner und Sponsoren verteilt werden. Damit beginnen im Prinzip dann auch gleich wieder die neuen Gespräche mit den Partnern und Sponsoren für das nächste Jahr. Dadurch das wir seit einigen Jahren mit unseren nationalen und internationalen BOTY Vorentscheidungen von Mai bis Ende Oktober Veranstaltungen haben beginnt auch die direkte Veranstaltungsorganisation immer bereits im Frühjahr eines jeden Jahres.
Ca. 3 Leute arbeiten das komplette Jahr über nur für das BOTY. Je näher wir an die Veranstaltung herankommen, umso mehr Leuten arbeiten dann an der Produktion. 4 Wochen vorher vielleicht 15 bis 20 Leute und an den Veranstaltungstagen mit dem kompletten Helferteam faßt 100 Leute.
HHWS: Durch die Sponsoren werden ja mittlerweile sicherlich eure Ausgaben gedeckt. Gab es auch Jahre in denen ihr eure Kosten nicht decken konnten und war dieser Grund jemals ein Kriterium zum Aufhören mit der Veranstaltung?
T. HERGENRÖTHER: Zunächst mal muß ich sagen, dass die Sponsoren keinesfalls unsere Veranstaltung absichern. Dies tun sie nur teilweise. Die meisten Leute sehen immer nur die Logos von Tribal, Eastpak und so weiter und denken dann, dass diese Riesenbudgets für uns raushaun. Viele unserer Partner sind selber sehr kleine, szenlastige Firmen (z.B. Tribal oder South Pole), zum anderen darf man nicht vergessen, dass wir nicht die Fußballweltmeisterschaft sind sondern mit Breakdance eine sehr kleine Zielgruppe bedienen und damit wird es immer automatisch sehr schwierig große Marektingbudgets von den Firmen zu bekommen, denn für die zählt vielfach nur die Masse an Besuchern.
In den letzten 3 BOTY Jahren benötigten wir ca. 7.500 zahlende Zuschauer um auf 0 zu kommen, das ist in der heutigen Zeit ein ziemlich hohes Risiko, welches nicht viele Veranstalter eingehen. Und ich sage ganz offen: Wenn mein Herz nicht so sehr am BOTY und der B-Boy Szene hängen würde hätte ich schon längst aufgehört!
Man kann sagen, dass wir in den Jahren 1990 bis 1999 in jedem Jahr Verlust gemacht haben. Erst im Jahre 2000 fing es an, dass sich die jahrelange Aufbauarbeit auszahlte. Aber wie schon gesagt, ich habe das BOTY nie aus finanziellen Aspekten organisiert, heute ist es natürlich schön, dass die Veranstaltung und alles was dazugehört (z.B. Merchandise) mir halbwegs das Einkommen sichert denn ich bin jetzt Mitte 30 und muß ja auch schaun wo ich bleibe und wovon ich lebe.
HHWS: In den letzten Jahren gab es immer wieder Gerüchte darüber, daß es keine weitere Veranstaltung gibt. Aber trotzdem wurde jedes Jahr wieder ein Battle veranstaltet. Wie sieht die Zukunft des BOTY aus?
T. HERGENRÖTHER: Es gab lediglich im Jahr 2000 von meiner Seite aus die Ansage, dass ich mir nicht sicher bin das BOTY fortzusetzen. Das war aber kein Gerücht ondern von mir immer ganz offen und direkt angesagt. Ich war in dieser Zeit sehr enttäuscht von vielen Tänzern und Künstlern, die immer nur rumgemeckert haben, uns unterstellt haben wir würden die Riesenkohle verdienen und nicht erkannt haben was eigentlich für mich der Grund ist die Veranstaltung zu organisieren. Das Jahr 2000 mit der großen Veranstaltung auf der EXPO in Hannover verlief aber nahezu perfekt und anschließend haben mir viele Leute gesagt, es wäre dumm das Ganze jetzt aufzugeben, denn jemand anders hätte sicherlich das Potential der Hip Hop und B-Boy Szene ausgenutzt und eine andere Veranstaltung organisiert und von unserer Aufbauarbeit profitiert. Damals sind aber auch extrem viele Tänzer und Hip Hop Aktivisten auf mich zugekommen und haben mir ganz deutlich zu erkennen gegeben, wie viel ihnen am BOTY liegt. Na ja, da haben wir weitergemacht.
Für die Zukunft frage ich mich natürlich immer öfter wie lange wir das BOTY noch machen wollen. Die Gefahr ist meiner Meinung nach immer da, dass sich eine Veranstaltung irgendwann zu sehr von ihrem Ursprung entfernt und nicht mehr das ist was sie einmal war, siehe z.B. die Loveparade in Berlin. Soweit möchte ich es mit dem BOTY nicht kommen lassen, vielleicht ist es bald einfach gut aufzuhören und das Ganze in guter Erinnerung zu behalten. Jetzt geht es auf jeden Fall erstmal weiter, wir sind für 2004 eigentlich ziemlich motiviert, vor allem weil wir uns dazu entschieden haben neue Länder und Regionen wie z.B. Israel, Südostasien, Nordamerika oder dem Mittleren Osten zu integrieren. Ich bin gespannt was sich in diesen Ländern und Regionen B-Boymäßig in den nächsten Jahren entwickelt und natürlich auch wie sich diese Regionen beim BOTY Finale präsentieren werden.
HHWS: Es gibt mittlerweile in vielen Ländern Vorentscheidungen. Wie ist die Resonanz aus diesen Ländern?
T. HERGENRÖTHER: In diesem Jahr wird es in ca. 20 Ländern BOTY Vorentscheidungen geben. Die Resonanz aus diesen Ländern ist eigentlich sehr positiv. Für die lokalen Kids, z.B. in Südafrika, Russland oder Neuseeland hat die Veranstaltung noch die Veranstaltung, die sie bei uns vielleicht mal in den Anfangsjahren hatte. Hier in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern sind die Kids einfach schon zu verwöhnt weil sie alles haben und sich auch alles kaufen können was sie wollen. So wird z.B. nur für die guten Gruppen geklatscht, bei den anderen langweilt man sich und geht ins Foyer. Das wird dir z.B. in Südafrika nicht passieren. Die Tänzer sind alle noch mit soviel Herzblut dabei und unterstützen sich dabei alle gegenseitig.
Generell kann man darüber hinaus sagen, dass wir uns vor Anfragen neuer Länder, die eine BOTY Vorentscheidung machen wollen, nicht retten können. Darunter sind sehr exotische Anfragen aus Ländern wie z.B. La Réunion oder Venezuela. Für die Zukunft müssen wir uns hier sicher ein regionales Vorentscheidungssystem überlegen, denn mehr als 20 Gruppen beim BOTY Finale können wir auf Dauer sicher nicht verkraften.
HHWS: Hast du zum Schluss noch etwas zu sagen?
T. HERGENRÖTHER: Nehmt das Ganze nicht zu Ernst, vergesst nicht den Spaß, es geht nicht nur ums gewinnen. Lernt beim BOTY neue B-Boys/ Girls, Menschen und Kulturen kennen, tauscht euch aus, knüpft Kontakte. Der weltweiten Hip Hop und B-Boy Szene wird es gut tun!